„Toleranz für sich genommen ist noch keine Tugend“ sagte der Warschauer Journalist Adam Krzeminski am 8. Oktober 2013 in einer Veranstaltung im Hessischen Landtag in Wiesbaden. Krzeminskis Thema war die „Toleranz im europäischen Diskurs“, aber eben aus polnischer Sicht. Eingeladen hatten die Evangelische Stadtakademie und der Evangelische Bund.
Der Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins Polityka gilt in Polen als einer der herausragenden Kenner Deutschlands. Bevor er auf sein Thema losging, wurde der auch als Gastredakteur der Wochenzeitschrift DIE ZEIT bekannte Journalist erst einmal grundsätzlich. Wenn Toleranz nur Gleichgültigkeit bedeute, könne sie einfach ein Beispiel für Wankelmütigkeit sein, die den anderen nicht ernst nimmt. Aber die Fragen der Toleranz müssten immer wieder ausgehandelt werden. Und bei echter Toleranz stehe am Ende die Anerkennung. „Toleranz ist das Fundament einer offenen Gesellschaft“. Sie sei die Grundbedingung der Liberalität.
Krzeminski malte zunächst ein Bild von Polen mit einer alten Geschichte der Toleranz „ohne Scheiterhaufen“. Dass dies nicht lange und nicht immer so war, zeigt sein Blick in die weitere Geschichte. „Die brodelnden Fragen sind auf dem Schlachtfeld und nicht am Verhandlungstisch gelöst worden.“ Der zweifach gescheiterte Griff nach Polen im 20. Jahrhundert und schließlich auch die Angst vor dem großen Atomschlag hätten den Anstoß zur europäischen Vereinigung gegeben.
Aber die alten Nationalismen seien immer noch nicht verschwunden. So zeichneten sowohl Litauer als auch Polen heimlich wieder alte Landkarten mit längst vergangenen Wunschgrenzen. Viele Polen litten unter der schweren Geschichte ihres geplagten Vaterlandes. So gäbe es den Hang zur alternativen Geschichte, in der die Polen Sieger des 2. Weltkrieges sind. So beschrieb er einen Volkssport, „die Geschichte „im Sandkasten noch einmal neu zu spielen“ – und zu gewinnen! Gerade auf diesem Weg, auf dem sich viele Polen ihr Land jetzt wieder glorreich zusammenträumten, sehe er auch viele kritische Auseinandersetzungen, die solche Geschichtsfantasien wieder einfangen. Krzeminski beschrieb eine „kontrafaktische Unterhaltungsliteratur, in denen das Deutsche eine entscheidende Rolle spielt“.
Krzeminski kündigte eine deutsch-polnische Familientherapie an, ohne Therapeuten. Nur sehr mühevoll habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass beide Seiten sehr viel miteinander zu tun haben. Die Vergleiche der „deutsch-polnischen Geschichtsneurosen“ zeigten, wie schmerzhaft der Verlust des Landes an den Nachbarn war. Deutsche und polnische Geschichte bedinge sich gegenseitig. Damit die Therapie gelinge müsse auch ein Interesse am Nachbarn da sein und die Fähigkeit miteinander zu streiten. Das Fundament für eine neue Toleranz zwischen solchen „symmetrischen Nachbarn“ sei die Kenntnis des jeweiligen Nachbarn. „Man kann nur etwas tolerieren, was man kennt und vor dem man keine Angst hat.“